November 14, 2024

Wie gerät man eigentlich an einen narzisstischen Chef

Es gibt verschiedene Gründe, warum jemand an einen narzisstischen Chef geraten kann.

  1. Charme und Überzeugungskraft: Narzisstische Persönlichkeiten wirken oft charismatisch und überzeugend, vor allem in Vorstellungsgesprächen oder in der Anfangszeit. Sie verstehen es, sich selbst in ein positives Licht zu rücken und erscheinen zunächst als starke, inspirierende Führungspersönlichkeiten oder potenzielle Freunde.
    Oft verbrüdern sie sich schnell mit dir und schaffen eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der sie dich umgarnen und dir das Gefühl geben, dass du hier genau richtig bist.

    In Unternehmen mit narzisstisch geprägter Führung herrscht oft eine „Duzkultur“ zwischen Vorgesetzten und Angestellten, um ein Gefühl von Augenhöhe zu vermitteln.

    In dieser Atmosphäre sprichst du vielleicht vertrauensvoll über Dinge, die bei früheren Arbeitgebern nicht gut gelaufen sind, und bekommst Bestätigung. Sätze wie „Das ist ja krass, so etwas wirst du bei uns nicht erleben“ oder „Da hat man dich ja schön über den Tisch gezogen“ tun gut und schmeicheln der Seele – man fühlt sich endlich respektiert und verstanden.
    Genau an diesem Punkt verlässt einen häufig die kritische Distanz zum neuen Arbeitgeber. Denn Narzissten sind Meister der Manipulation und lernen oft schon von klein auf, durch gezielte Manipulation ihrer Mitmenschen ihre Ziele zu erreichen.

  2. Hierarchische Strukturen und Machtkonzentration: Narzissten suchen häufig Positionen, die Macht und Kontrolle über andere bieten, und Führungsrollen sind dafür ideal. In hierarchischen Strukturen haben sie oft einen natürlichen Vorteil, da sie gut darin sind, sich in Machtpositionen vorzuarbeiten. Empathische Menschen hingegen scheuen oft den Kampf gegen die „Ellbogen-Mentalität“. Sie übernehmen im Unternehmen unterstützende Rollen, sorgen für Zusammenhalt unter den Kollegen und kompensieren vieles, was eine narzisstische Führungsebene schlecht macht. Für gesunde Menschen ist es ja auch kaum auszuhalten sich zwischen solchen Charakteren zu bewegen, deswegen trifft man diese eher Selten in Führungspositionen von größeren Unternehmen an, Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel.

  3. Schwer erkennbare Persönlichkeitszüge: In beruflichen Kontexten zeigen Narzissten oft nur ihre „beste Seite“. Die manipulativen und kontrollierenden Eigenschaften treten meist erst später zutage, wenn die Zusammenarbeit enger wird. Nehmen wir das Beispiel des Vorstellungsgesprächs: Es wird dir eine hohe Messlatte für deinen möglichen Erfolg vorgelegt. Aussagen wie „Mit deiner Qualifikation kannst du bei uns bis zu (setze hier ein anziehendes Gehaltsniveau ein) verdienen“ werden gemacht.

    Es werden viele Benefits versprochen: Das Angebot vieler Fortbildungen, der Möglichkeit des Homeoffice, kostenloser Kaffee und Mineralwasser, Obstkörbe, vergünstigte Fitnessstudio-Mitgliedschaften, Kita-Plätze, betriebliche Altersvorsorge, Unternehmensanteile, JobRad-Leasing und natürlich ausgezeichneter Hardware wie zum Beispiel einem MacBook, guten Monitoren sowie einem Firmenhandy.
    Deine Wahrnehmung wird zunehmend verzerrt, weil du bereits die „rosarote Brille“ aufgesetzt hast und glaubst, dass alles zu gut ist, um wahr zu sein.
    Doch Narzissten wählen dich aus einem bestimmten Grund aus, und zwar wegen deines:

  4. Mangel an Selbstwertgefühl und hohe Anpassungsbereitschaft:
    Menschen, die dazu neigen, sich stark anzupassen, Konflikte zu vermeiden oder sich selbst unterzuordnen, sind oft anfälliger für die Manipulation und Kontrolle durch narzisstische Vorgesetzte. Ein geringes Selbstwertgefühl kann dazu führen, dass man die toxischen Eigenschaften erst spät erkennt oder diese sogar eine Weile toleriert. Man findet sich dann in einem Vorstellungsgespräch wieder, in dem alles perfekt und ideal erscheint – die Menschen sind freundlich, es werden Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten aufgezeigt, und es werden dir:

  5. Verlockende Versprechen und Karrierechancen: gemacht: Narzissten neigen dazu, große Versprechungen und Zukunftsperspektiven anzubieten, um loyale Mitarbeiter zu gewinnen. Wer sich von solchen Versprechen beeindrucken lässt oder beruflich ehrgeizig ist, kann leicht an einen narzisstischen Chef geraten, der diese Ziele für seine eigenen Zwecke nutzt oder dich gezielt aufgrund deiner Schwächen auswählt. Deshalb solltest du im Vorstellungsgespräch nicht über finanzielle Sorgen oder gesundheitliche Probleme sprechen, da dies potenzielle Angriffsflächen bietet, um dich später noch stärker zu beeinflussen.

    Wie bereits weiter oben beschrieben, zeigen Narzissten anfangs nur ihre beste Seite. Eingelullt von den vielen tollen Versprechungen und Gehaltsaussichten übersieht man leicht, dass der „Haken“ oft im Detail verborgen liegt. Gehaltsprognosen, die auf einem Bonussystem basieren, sind oft Fallen, vor allem wenn sie an Bedingungen wie 100% Auslastung oder Übererfüllung der erwarteten Arbeitsleistung gekoppelt sind und sich häufig sittenwidrigen Überstundenregelungen widerspiegeln.

    Auch werden oft unerreichbare Vorgaben gesetzt, die im Arbeitsalltag schlicht nicht erfüllbar sind. Daher ist es in der Bewerbungsphase unerlässlich, genau darauf zu achten, wie die „gut klingenden“ Benefits wirklich zu erreichen sind. Probearbeiten kann eine gute Gelegenheit sein, das Unternehmen besser kennenzulernen, birgt aber auch die Gefahr, sich weiter einlullen zu lassen.

    Hellhörig sollte man spätestens werden, wenn nach den ersten positiven Gesprächen ein Arbeitsvertrag vorgelegt wird, der sich deutlich vom ersten Entwurf unterscheidet und mit gut klingenden Begründungen relativiert wird, etwa: „Das war ja nur ein Vorabentwurf, wir stellen alle neuen Mitarbeiter unter dieser Jobbezeichnung ein“ oder „Mach dir keine Sorgen, nach der Probezeit bekommst du dein Wunschgehalt, aber wir haben aktuell kein passendes Projekt für dich.“

    Das klingt vielleicht fair, aber wenn du an dieser Stelle nicht konsequent bleibst, wirst du später immer weiter Zugeständnisse machen müssen. Für Narzissten ist es völlig in Ordnung, mündliche Zusagen zu machen oder vage Versprechen zu äußern, die wie eine mündliche Vertragszusage klingen. Juristisch steht dann meist Aussage gegen Aussage, und du sitzt bereits in der Falle. Narzissten neigen auch zur Isolation: Zusagen oder Versprechen werden nie vor Zeugen gemacht, sodass man sie später nicht festnageln kann.

  6. Fehlende Unternehmenskultur oder Führungsrichtlinien:
    In Unternehmen ohne klare ethische Standards oder Werte, die gutes Führungsverhalten fördern, haben narzisstische Führungskräfte oft mehr Spielraum, ohne kontrolliert oder infrage gestellt zu werden.
    Es ist allgemein bekannt, dass sich in Führungsebenen oft Narzissten, Soziopathen und Psychopathen sammeln – Persönlichkeiten, denen die Empathiefähigkeit fehlt.
    In meiner Betrachtung fokussiere ich mich jedoch nur auf den typischen Narzissten in seiner Rolle als Unternehmensgründer, der Angestellte gezielt nach ihren psychologischen Schwächen auswählt: Niemand in seinem Umfeld erfüllt nicht eine spezielle Aufgabe.


    Das Fehlen eines Betriebsrates sollte dir ein Warnzeichen sein. Ist beim Einstellungsgespräch kein Vertreter anwesend, sollte man nachhaken, um dies in Erfahrung zu bringen.
    Wird man jedoch mit Aussagen beschwichtigt wie „Wir sind ein junges und cooles Unternehmen, daher brauchen wir das nicht“ oder „Wir möchten der beste Arbeitgeber sein, deswegen sind wir wie eine große Familie“, sollte man spätestens hier einen genauen Blick auf die Personalstärke werfen und das Gespräch gegebenenfalls abbrechen.
    Häufig wird dieser Punkt jedoch in einer besonders frühen Phase des Vorstellungsgesprächs abgebügelt, um das „hippe“ Image des Unternehmens zu betonen.

    Grundsätzlich gilt: Je mehr man im Vorstellungsgespräch von persönlichen Schwächen preisgibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese später gegen einen verwendet werden.


    Merke: Ein Arbeitgeber ist selten dein Freund – versuche immer, ihn als Wolf im Schafspelz zu sehen.

    In der Gründungsphase nehmen die Gründer oft noch selbst an der Auswahl (Einstellungsgesprächen) ihrer potenziellen „Opfer“ teil. Die ersten und alle weiteren Kontakte wirst du jedoch meist mit anderen Mitarbeitern haben, die besonders empathisch sind und dir so ein völlig anderes Bild des Unternehmens vermitteln als die Realität.

    Narzisstische Männer in Führungspositionen ziehen oft empathische Frauen an oder bevorzugen diese gezielt für Rollen, in denen soziale Kompetenz und emotionale Intelligenz gefragt sind, insbesondere wenn es um die Außenwirkung des Unternehmens geht (z. B. im Marketing, Recruiting und Personalmanagement).


    Auf die unterschiedlichen Persönlichkeitstypen, die Narzissten umgeben und wie diese im Unternehmen eingesetzt werden, werde ich in späteren Beiträgen noch einmal gesondert eingehen.


Schlussfolgerung

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es oft die Kombination aus persönlicher Verletzlichkeit, den manipulativen Strategien eines Narzissten und den Strukturen des Unternehmens ist, die Menschen in solche toxischen Arbeitsbeziehungen führt. Narzisstische Chefs nutzen ihre Fähigkeit, Vertrauen und Nähe zu schaffen, gezielt aus, um Kontrolle zu erlangen und ihre eigenen Interessen durchzusetzen – oft auf Kosten ihrer Mitarbeiter und ihrer Gesundheit.

Für deine berufliche Laufbahn ist es entscheidend, aufmerksam zu bleiben und auf Anzeichen narzisstischer Strukturen zu achten, vor allem in der Anfangsphase. Sei kritisch gegenüber übertriebenen Versprechungen, und bewahre eine gesunde Distanz, wenn Dinge zu schön erscheinen, um wahr zu sein. Ein stabiles Selbstwertgefühl und das Wissen um deine Grenzen helfen dir, Manipulationsversuchen zu widerstehen und dich auf Unternehmen zu konzentrieren, die eine echte Wertschätzung für ihre Mitarbeiter zeigen.

Am Ende liegt die Entscheidung bei dir: Finde heraus, ob ein Unternehmen wirklich zu dir passt, bevor du dich bindest – und sei bereit, klar „Nein“ zu sagen, wenn Warnzeichen überwiegen.